Ihr eigenes Gesetz
Jirí Harcuba

Zur Zeit spricht man von Energie, sogar von Vibrationen im Zusammenhang mit Kunst. Das heißt, dass wir heute eher an das Individuelle, das Persönliche glauben. Bei Ursula gilt diese Prämisse. Ihrer Arbeit widmet sie ihre Energie. Ihre Aussage ist das Bild ihrer Persönlichkeit. Niemand fällt vom Himmel, jeder wird in seine Zeit geboren, auch in eine ganz besondere Situation, eine bestimmte Tradition. Das alles wird verarbeitet, durchdacht und umgewandelt in einer originellen Art und Weise. Das heißt, bei denjenigen, die den Willen dazu haben und die Vorstellungskraft. Tom Buechner sagte, dass es um das Sehen, das Wissen und das Wollen geht. Dabei legt er gerade auf das Wollen das größte Gewicht.

Viele große Philosophen sehen auch den Grund und Sinn aller Dinge als Willen. Alles hat Ursula selbst gelernt, alles musste sie selbst entdecken. Sie ist das beste Beispiel eines Autodidakten. Denn das, was man mit Fleiß und Schweiß selbst erobert, hat größeren Wert als das, was man ohne Mühe bekommt. Die Schulen haben Vorteile, aber sie stellen auch Fallen. Oft bleibt der Schüler in der Manier des Lehrers hängen. Um selbstständig zu sein, muss man sich von der Schule loslösen, ja, man muss sich sogar gegen seine Lehrer aufbäumen.

Man darf dem Licht nicht zu nahe stehen – es blendet. Man muss sich vor Einseitigkeit hüten. Man muss seinen eigenen Weg gehen, sich selber finden! Auf was stützt man sich dabei? Es ist alles, was schon vor uns da war und vieles, was gerade jetzt geschieht. Wir sind verbunden in der Zeit und im Raum.

Die Welt ist klein geworden. Wir bekommen jede mögliche Information direkt ins Haus. Wir sind geradeso entzückt von der Kunst der Vorgeschichte, wie von den Entdeckungen in Afrika und Australien. Beweise des künstlerischen Schaffens sind da, wo man sie früher nicht gesucht hätte. Der Begriff Schule hat sich geändert. Das Einzige, was uns wirklich gehört, ist die Vergangenheit, sagte Peter Rosegger. Das ist unsere Schule. Ewig werden wir den Dialog mit der Vergangenheit führen. Auch die Rolle des Lehrers wandelt sich. Auch in der Schule geht es jetzt um viele Meinungen, um den Dialog zwischen Ebenbürtigen, wie es Joseph Beuys in seiner Universität Oldenburg demonstrierte.

Jeder Lehrer kann nur seine Erfahrungen weitergeben, seine Auswahl treffen, das Beste auswählen, so wie er es sieht. Wir alle sind Lehrer, sagte Comenius. Man könnte auch sagen: Wir alle sind Schüler. Es geht darum, die Wahrheit zu finden in jedem Bereich. Die eigene! Wir sind Glieder zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Ursula lebt ihre kreative Zeit, welche über die letzten Dekaden des 20. Jh. in das 21. Jh. hineinreicht. In ihrem Werk ist der Zeitgeist enthalten, in ihrer ganz eigenen Interpreta-tion. Ihre Persönlichkeit, ihr Sinn für das Gesetz, ihre eigenen Gesetze, nach denen sie sich richtet, sind es, die ihr Werk kennzeichnen.

Sie hat von Anfang an ihre eigene Sprache gefunden. Man erkennt sie. In der Vielfalt dieser Welt ist sie in dem Bereich Glas auf den ersten Blick erkennbar. Diese „Identität“ scheint die Bedingung für die Meisterschaft zu sein. So wie es Goethe fordert: „Die Begrenzung macht den Meister“. Bei Ursula gilt dies absolut.

Es ist die Stilisierung der Figur, das Symbolhafte, ihre Handschrift, die Abkürzung und ihre eigenen Regeln, welche sie sich gebildet hat. Ihre Perfektion, ihre Reinheit und Klarheit – so erkennt man sie.

Dabei ist es auch bei Ursula so, wie Pythagoras die Welt sieht. Eine Einheit von dem Begrenzten und dem Unbegrenzten, der Ordnung und dem Chaos des Apollinischen Prinzips und des Dionysischen, wie es Nietzsche definiert. Ja, auch das Dionysische im Werk Ursulas kommt zum Vorschein. Es ist ihr Humor.

Die „Zufälle“, welche beim Drucken entstehen, die Überraschung im Prozess des Schaffens, auch Unerwartetes. Die Freude an der Arbeit möchte man Ekstase nennen. Das alles ist dabei und spiegelt unsere Welt, denn das große Gesetz waltet in Verbindung mit dem ewig Chaotischen.

Obwohl die Welt der Kunst sich mit Ideen befasst und für den Künstler meistens die einzige reale Welt ist, wie es Plato lehrte, nehmen wir auch an den politischen Geschehnissen teil. Bei Ursula war es zum Beispiel ihr Kristallnachtprojekt, welches mit dem Gold Award des American Interfaith Institute gewürdigt wurde. Es geht eben auch immer um das innere Leben und die Moral. Und wieder ist es Plato, der in dieser Beziehung von Mäßigkeit und Tapferkeit spricht. Das alles gehört zum Bild und Werk von Ursula.

Es ist der ewige Dialog, den wir mit uns selbst, mit den anderen und der ganzen Welt führen. Mehr noch als Konversation ist es beim Schaffen das Selbstgespräch. Nicht unbedingt laut aber doch intensiv setzt man sich mit sich selbst auseinander. Es ist doch das „innere Leben“, welches irgendwie parallel mit dem „wirklichen“ geht. Und noch etwas ist da. Man kann es nicht aussprechen, nicht absolut erklären. Es ist das Geheimnis, das Geheimnis des Schaffens.

Das Geheimnis des Schaffens entspricht eben dem großen Geheimnis unserer Existenz. Man fühlt es, man ahnt es. Nur was man mitfühlen kann, bereichert. Jan Tomeš schrieb in seiner Biografie über den Maler František Tichý: „Entweder ist man fähig, in das Reich des Künstlers einzutreten oder man ist es nicht.“ Es ist die einzig mögliche Antwort auf die Frage: „Was wollte der Autor damit sagen?“ Die Einladung Ursulas in ihr Königreich einzutreten, besteht für alle.

In den fast 30 Jahren unserer Bekanntschaft, welche sich bald in eine professionelle und persönliche Freundschaft entwickelte, haben wir unzählige Gespräche geführt. Vor allem über die Glasgravur. Mit Gernot, dem Theoretiker und Initiator von vielen Glasereignissen, und mit Ursula beim Leiten der Kurse von Glasgravur und Vitrografie – dem Drucken von gravierten Glasplatten im Bild-Werk Frauenau.

Die Gespräche bei der Arbeit sind oft ohne Worte. Es ist eine Werkstatt. Wie in jeder Werkstatt zeigt der Meister es dem Lehrling, er führt es vor. Viele Worte gibt es dabei nicht. Bildwerke entstehen so, dass man beobachtet, wie es die anderen machen, und dass man es selbst immer wieder versucht. Und jeder tut es in seiner Weise. Und immer gibt es überraschende Ergebnisse. Ob in der Schule oder in der Werkstatt zu Hause. Der größte Gewinn besteht immer in der Begeisterung bei neuen Entdeckungen. Das ist der wahre Lohn.

Es geht nicht um Wettstreit. Es geht allein um die innere Befriedigung. Alles ist Kunst – auch unser eigenes Leben – so, wie wir es gemeinsam gestalten, sprach Dostojewski.

Ihr eigenes Gesetz
Jirí Harcuba

These days one speaks of energy, even of vibrations in connection with art. That means that today we rather believe in individuality, the personal and in Ursula’s case this premise is valid. She dedicates her energy to her work. Her testimony is the reflection of her personality. No one falls from the sky, everyone is born in their given time, even in a very special situation, a preordained tradition. This is all processed, thought through and converted in an original way. Meaning those that possess the will and the power of imagination for it. Tom Buechner said it revolves around seeing, knowing and wanting to.

With that he lays the greatest stress on wanting to. Many great philosophers see the foundation and significance of all things as willpower. Everything Ursula knows and discovered she had to do for herself, she is the best example of an autodidact. What one gains through perseverance and hard work has greater value than that attained without effort. Schools have advantages but they also lay traps. Often the student remains stuck in the teacher’s way of working. Independence comes from detaching oneself from the school, it’s even advisable to rebel against one’s teacher.

Getting too close to the light blinds. One must protect oneself from bias; follow one’s own path, find oneself! In doing so how do you prop yourself up? Everything was there before we came along and a lot of it is happening now. We are bound in time and space.

The world has shrunk. We are the recipients of all kinds of instant information, we are even as enamoured of prehistoric art as of discoveries in Africa and Australia. Evidence of artistic creativity exists where one hadn’t sought it before. The concept of school has altered.

The only thing that truly belongs to us is the past, says Peter Rosegger. That is our school. Our dialogue with the past will go on for ever. Even the teacher’s role undergoes changes and in schools there are many opinions concerning the dialogue between equals, as Joseph Beuys demonstrated in his university in Oldenburg.

Every teacher can only pass on his experiences, make his selection, choose the best as he sees fit. We are all teachers said Comenius. One could also say: we are all students. The point is to discover the truth in each area. One’s own! We are links between the past and the future.

Ursula inhabits her creative time which stretches over the last decades of the 20th century into the 21st. The spirit of the age is contained within her work, in her very personal interpretation. Her personality, her sense of principle, the philosophy she follows characterises her work.

From the very beginning she discovered her own discernible language. Within the diversity of this world she is instantly recognisable in the area of glass. Seemingly this ‘identity’ is the requirement for mastery. As Goethe claimed: ‘Limitation creates the master’. When it comes to Ursula this applies wholeheartedly. It’s the stylisation of the figure, the symbolic, her signature, the abbreviation and her own rules which she created; her perfection, purity and clarity – this is how one recognises her.

As Pythagoras sees the world, so does Ursula. A oneness of the restricted and the unrestricted, the order and chaos of the Apollonian principle and the Dionysian, as defined by Nitzsche. Yes, even the Dionysian in Ursula’s work comes to the fore. It is her humour.

The ‘coincidences’ which occur during printing, the surprise in the creative process, even the unexpected. One would like to apply the term ecstasy to the work process. All this is a part of that and mirrors our world, as the large principle prevails in association with the eternal chaos.

Although the world of art deals with ideas, which for the artist is usually the only true world as Plato taught, we also partake of the political proceedings. For Ursula it turned out to be the ‘Kristallnacht’ project, which was honoured with the Gold Award of the American Interfaith Institute. It is always about the inner life and morality. Again it is Plato who in this case speaks of temperance and fortitude. All this applies to the image of and work produced by Ursula.

It’s the perpetual dialogue which we carry on with ourselves, with others and the entire world. More than conversation it is the dialogue one has with oneself during the creative process.

Not necessarily out loud but the internal debate whilst working. Surely it is the ‘inner life’ which somehow runs parallel to the ‘real life’. And there is something else. One cannot vocalise it, not explain it fully, it is the secret, the secret of creativity.

The secret of creativity corresponds to the big secret of our existence. We feel and suspect it, only what we can empathise with enriches. Jan Tomeš wrote in his biography of the painter František Tichý: ‘Either one is capable of entering into the artist’s realm or one isn’t’. It’s the only possible answer to the question: ‘What did the author mean to say with that statement?’

Ursula’s invitation to enter into her realm is open to all. In our acquaintance of almost 30 years’, which quickly became a professional and personal friendship, we had countless discussions; above all about glass engraving. With Gernot, the theorist and initiator of many glass events and with Ursula, overseeing the courses in glass engraving and Vitrography – the printing of engraved glass plates at Bild-Werk Frauenau.

The dialogues whilst working are often wordless. It is a workshop. As in every workshop the master shows the trainee, he demonstrates, it doesn’t require many words. Sculptures develop in such a way that one watches what the others are doing and keeps trying oneself. Everyone follows their own way of working, and there are always unexpected results whether in school or in one’s own workshop. The biggest gain is always in the excitement of new discoveries.

That is the real reward. It’s not about rivalry. It is solely about inner satisfaction. Art encompasses everything – even our own lives – as we collectively shape it, said Dostoevsky.